Therapie Graz Header

Warum Ärger, Wut und Zorn Menschen zum Protest auf die Straße bringen?

Eine psychologische Erklärung der sogenannten Wut-Bürger

Fachartikel von Robert Riedl

Im Jahr 2020 stecken die USA in einem massiven sozial-politischen Dilemma, um nicht zu sagen: einem sogenannten Trumparadoxon. Menschen, die aus sozial oder ökonomisch benachteiligten Milieus kommen, spüren die Belastungen durch die Coronakrise gesundheitlich, psychisch und ökonomisch am stärksten. Und so sind US-Amerikaner mit afrikanischen Vorfahren auch viel stärker von Corona-Todesfällen, Jobverlust und Langzeitarbeitslosigkeit oder sozial-ökonomischen Einschränkungen betroffen oder leiden häufiger als Personen aus höher gebildeten Schichten unter psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Stresserkrankungen. Gleichzeitig sind "weiße Menschen", die aus eher sozial oder ökonomisch benachteiligten Milieus kommen, nicht nur viel stärker Trumpwähler sondern landen beruflich häufig beim Militär oder bei der Polizei, weil ihnen wenig andere sozialen Aufstiegchancen zur Verfügung stehen.

Während des "Corona-Shutdowns" mussten beide sozial und ökonomisch benachteiligten Gruppen auf engstem Raum viel Zeit verbringen, wodurch unterschwellige Spannungen und alte Schwierigkeiten reaktiviert wurden aber auch vielfach neue private Konflikte ausbrachen. So ladete sich das individuelle Wut-Level in den letzten Monaten – neben dem jahrelang allgemein aufgestauten Groll und Ärger durch die strukturelle Unterdrückung bzw. Benachteiligung beider Gruppen im US-amerikanischen Gesellschaftssystem – zusätzlich auf. Und nun entlädt sich dieser Zorn angesichts der brutalen Tötung des Afroamikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten: es kommt zur Entladung dieser Wut durch Empörung, Demonstrationen, Protest und Gewalt an "Symbolobjeken" (wie Statuen oder Denkmäler), was auch zur Provokation von weißen Polizisten durch gewaltbereite Protestierende führt, was erwartungsgemäß zu weiteren Grenzüberschreitungen auf beiden Seiten führen wird...

Psychologisch versuchen Gefühle des Zorns oder des Ärgers uns unwillkürlich in ein aggressiveres Handeln zu bringen, um unsere Grenzen gegenüber anderen mehr oder weniger aggressiv klarzustellen oder um das eigene "Territorium" möglichst zu erweitern, d. h. wenn wir das Gefühl haben, unterdrückt oder im Leben zu sehr eingeschränkt zu werden. Wut kann so als gesunde emotionale Reaktion auf eine subjektiv erlebte Grenzüberschreitung gesehen werden, solange sie sich für das Klären der subjektiv erlebten Grenzüberschreitung einsetzt und nicht selber Grenzen anderer mehr oder weniger massiv überschreitet. Das US-amerikanische Dilemma besteht nun darin, dass alle weiteren Grenzüberschreitungen – sei dies von Polizisten oder durch Protestierende – wiederum von der "anderen Seite" als Überschreitung der Grenze in Form von systematischer Unterdrückung bzw. strukturellen Rassismus oder Verkörperung von "krimineller Energie" erlebt und somit weiter ins "Trumparadoxon" führen wird. Und schon werden rechtsextreme Demonstranten, die sich nun provoziert oder genauso bedroht fühlen, die Bühne der Wut und Gegen-Wut betreten, um den "Nächten des Zorns" beizuwohnen: Morde stellen die massivste Form möglicher Grenzüberschreitung dar.

Mit anderen Worten stehen sich zwei Narrative diamentral entgegen: das Narrativ der "Schwarzen", jahrhundertelang unterdrückt zu werden und das Narrativ der "Weißen", dass Afroamerikaner gegen Gesetze und Ordnung verstoßen. Und diese "schwarzen" und "weißen" Narrative bzw. dessen "Erzähler" prallen 2020 in den Demonstrationen und Aufständen wortwörtlich aufeinander: Protestierende aber auch Plünderer auf der einen Seite und Polizisten aber auch rassistische Gesetzeshüter auf der anderen Seite. Dass sich Donald Trump als sogenannter "president of law and order" in offensichtlicher Schwarz-Weiß-Manier inszeniert, bedient angesichts der geplanten Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten am 3. November 2020 ganz bewusst nur und ausschließlich das Narrativ seiner vorwiegend weißen Wählerschichten, denn schließlich kam der 45. Präsident der Vereinigten Staaten gerade durch seine gezielte Spaltung der US-Nation, unterstützt von seinen wutgenährten Twitts und unzähligen "Fake News"-Botschaften, am 20. Jänner 2017 an die Macht.

Die Systemische Psychotherapie hat für "unlösbare" Dilemma-Situationen als Lösungsmodell das "Werkzeug" der systemischen Strukturaufstellung parat: eine von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd entwickelte Adaptation eines logischen Schemas aus der indischen Logik, wobei der Entscheidungs- und Handlungsraum beim Vorliegen eines sogenannten "Dilemmas" erweitert werden soll:

"Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer haben dieses verneinte Tetralemma, wie es bei Nagarjuna auftaucht, adaptiert, und im Wege der Technik der systemischen Strukturaufstellung ein Prozessschema daraus entwickelt, das mittlerweile in vielen verschiedenen Bereichen der Sozialwissenschaft sowie von systemischen Therapeuten und Beratern angewendet wird. Es gilt als ein Mittel der Dekonstruktion, das zum Beispiel auch in der Suchtprävention erfolgreich eingesetzt werden kann.

Ausgegangen wird von zwei Entscheidungsmöglichkeiten, die sich zunächst auszuschließen scheinen, also einem Dilemma mit zwei Positionen:

1. Position: Das Eine
2. Position: Das Andere

Aus diesem Dilemma heraus führen soll zunächst die Einnahme einer Position, die "Beides" genannt wird.

3. Position: Beides.

Nur eine Möglichkeit für eine solche "Beides"-Position ist der Kompromiss. Darüber hinaus werden etwa weitere 20 Kategorien beschrieben, durch die zwei gegensätzlich oder polar erscheinende Positionen verbunden werden können. Wichtige Beispiele für solche Beidesformen sind: Scheingegensatz, übersummative Verbindung, paradoxe Verbindung, Iteration, Kontextwechsel oder auch die Variante "Die Kraft des Nichtgewählten in das Gewählte einfließen lassen", eine Wendung, die ursprünglich von Martin Buber stammt und über Bert Hellinger in die Aufstellungsarbeit eingeflossen ist. So ist in der Praxis das Tetralemma zum Beispiel im Bereich der Produktentwicklung eingesetzt worden, um gegensätzliche Positionen der Bereiche Vertrieb und Produktion kreativ zu verbinden. Als weiteres Beispiel wird das "Projekt Zivilgesellschaft" als eine Beidesform dargestellt, die darauf ausgerichtet ist, die Dichotomie von Staat und Markt, Allgemeinwohl und Eigennutz etc. aufzulösen.

Ein zusätzlicher Schritt kann weiter zu einer 4. Position führen, dem "Keins von Beidem". Da sich hierbei der Kontext ändert, wird dieser Schritt „externes Reframing“ genannt. Dabei verlieren die Fragestellung insgesamt und damit auch die Positionen 1 und 2 ihre strikte Geltung.

4. Position: Keines von Beidem

Eine fünfte Position soll auch über die vierte Position hinausführen und einer starken, sich selbst negierenden Form entsprechen, einer "reflexiven Musterunterbrechung", welche es ermöglichen soll, sich von allen vier vorhergehenden Positionen zu lösen und den gesamten Fragenkomplex zu verlassen. Die ursprüngliche dilemmatische Fragestellung erfordert keine Antwort mehr, sondern löst sich auf.

5. Position: All dies nicht und selbst das nicht.

Wer das Tetralemma bis hierhin durchschreitet, ("Das Tetralemma ist also eine Landschaft, die sich ändert, während wir sie durchwandern und dadurch, dass wir das tun.") soll sich in einer neuen ersten, "reiferen" Position wiederfinden. Das Tetralemma kann von dort aus erneut eröffnet werden und hat insofern kein Ziel, sondern ähnelt eher einer sich drehenden Spirale, bei der jeder neue Kreis wieder einen Neuanfang darstellt und die prinzipiell ohne Ende weitergedreht werden könnte."
Zitiert nach WIKIPEDIA.



Selbsthilfe für Zuhause

Anti-Depressions-Training

Robert Riedl zeigt dir, wie du persönliche Fähigkeiten einsetzen kannst, um möglichst zuversichtlich und wohlwollend durchs Leben zu gehen.

Robert Riedl: Das Fortuna-Programm - Anti-Depressions-Training
Lösungsorientierte Therapie für Zuhause. Drei Zuversichtsübungen
Arbeitsbuch, 249 Seiten (broschiert)
24,99 €


Anti-Depressions-Training

Robert Riedl gibt dir konkrete Anleitungen, wie individuelle Lösungswege gefunden und persönliche Probleme besser bewältigt werden können.

Robert Riedl: Das Morpheus-Programm - Anti-Depressions-Training
Drei Veränderungsübungen mit Notfallplan bei akuten Depressionen
Arbeitsbuch, 269 Seiten (broschiert)
24,99 €


Angst-Therapie-Kurs

In Robert Riedls Arbeitsbuch wird dir ganz konkret und praktisch gezeigt, wie du dich deinen Ängsten gezielt stellen und den "Teufelskreislauf der Angst" bewusst unterbrechen kannst.

Robert Riedl: Das Kerberos-Programm - Angst-Therapie-Kurs
Eine Drei-Schritte-Anleitung
Arbeitsbuch, 219 Seiten (broschiert)
24,99 €

 
 
Zum Seitenanfang